Trendscouting im Nirwana
Als wir 2017 zum ersten Mal nach langer Zeit wieder einen Schwerpunkt "Zimmerpflanzen" in DEGA GRÜNER MARKT hatten, wussten wir, dass das Thema brennt. In den Social Media tauchten immer mehr Bilder auf, die urbane Menschen mit vermeintlichen "Omapflanzen" zeigten. Ficus, Monstera und Philodendron waren plötzlich wieder hip geworden - und keiner hat's gemerkt. Als wir das erste Buch der umtriebigen niederländischen Autorin Judith Baehner (hetgroenlab.nl) ins Deutsche übersetzen lassen wollten, scheiterte das an der Kalkulation: Der Buchverlag schätzte das Interesse unserer Zielgruppen als nicht ausreichend hoch ein, um eine deutsche Version zu refinanzieren. Wahrscheinlich hatten die Buchmacher recht, denn in deutschen Gartencentern hatten Monstera & Co. da noch lange keinen Platz gefunden. Mittlerweile hat die Autorin mindestens fünf weitere zum Thema veröffentlicht.
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Dass die Zimmerpflanzen wiederkommen würden, war schon lange klar. Als der französische Onlinehändler Bergamotte 2018 mit Pop-up-Stores durch hippe deutsche Viertel tourte, schleppten ihm die Leute die Zimmerpflanzen aus dem Laden. Doch es brauchte eine Pandemie, um den stationären Handel mit der Nase draufzustoßen. Denn während gerade in der Stadt viele Menschen in ihren Wohnungen festsaßen, bekam die Zimmerpflanze endgültig eine neue Bedeutung. Die weit von der Natur entfernte Zielgruppe fand in den Topfpflanzen eine kleine Reflexion nach draußen, eine Projektionsfläche ihrer Sehnsüchte nach Freiheit. Pflegeleichte Zimmerpflanzen brachten da offensichtlich alles mit, was notwendig war. Ein Philodendron mit pinker Sprenkelung für 99 Euro? Vor Jahren undenkbar. Jetzt muss das Personal die Pflanzen in Glasvitrinen sperren.
Und die Händler? Die kommen auch aus der Zielgruppe. Junge Stadtmenschen, die mit Pop-up-Stores oder Instagram- und Pinterest-Accounts Erfolge feiern. Denn sie finden da statt, wo die Kunden sind. Margret zum Beispiel. Sie betreibt „Mooii“ im Kölner In-Viertel Nippes und hat 25.000 Abonnenten auf Instagram. Angefangen hat sie mit Secondhand-Klamotten. Den Namen hat sie aus dem Niederländischen entliehen. Mit dem zweiten „i“ bedeutet es so viel wie „extra schön“. Margret erzählt Geschichten aus ihrem Leben, nimmt die Follower zum Einkaufen nach Holland mit und verschenkt malade Pflanzen an Pflegeeltern.
Was lehrt uns das alles? Gute Aussichten nützen wenig, wenn man in die falsche Richtung schaut. Und liebe Kolleginnen und Kollegen: Früher hat Trendscouting eine Menge Geld gekostet. Heute reichen ein Abo und sich in entsprechenden Social-Media-Kanälen herumzutreiben. Aber, man muss es halt auch tun.
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