Räume erschaffen
Was passiert, wenn eine Floristmeisterin einen Straußworkshop im Blumengarten einer Slowflower-Farmerfloristin besucht? Ich war neugierig auf diesen Blickwinkel auf die Floristik, die Technik mit selbst geschnittenen Zweigen und die Menschen, die sich für so ein Erlebnis im Einklang mit der Natur, begleitet durch veganes Essen und Harfenklänge, interessieren. Ein Erfahrungsbericht.
von Nadine Quist erschienen am 10.07.2025Es war ein heißer Sommertag im Juli 2024. Ich bin nicht zum ersten Mal in Bad Boll bei Caroline Wolf, in ihrem Urwüchsig, einer Kreativwerkstatt mit naturnahem Blumengarten. Ich hatte im Jahr zuvor ihre Adventsausstellung besucht und war fasziniert, von den weihnachtlichen Kränzen, die – wild und unperfekt, vorwiegend trocken, aber auch liebevoll bis ins Detail – für mich gewöhnungsbedürftig, aber auch erfrischend anders waren.

Zum Konzept von Urwüchsig gehört neben Floristik mit selbst angebauten Blumen ein reiches Workshopangebot für Menschen, die gerne mit Naturmaterialien und Blumen kreativ sein möchten. Dieses macht den größten Teil des Umsatzes aus. Den Workshop an jenem Juli-Tag gibt ein Referent aus München. Sebastian Conrad gehört ebenso wie die Gastgeberin der Slowflower-Bewegung an. „Wild gezupft und sich spielend aus den Feldern webend, zart berührt und kraftvoll gebunden – luftig berauschend und gefühlvoll gelebt“ – mit diesen poetischen Worten beschreibt er das, was mich und die anderen sechs Teilnehmerinnen nun in 4,5 Stunden erwarten wird. Mit anderen Worten: An diesem Nachmittag soll es vor allem um das freie Gestalten von Gerüststräußen gehen.

Von der Kreativwerkstatt ist es ein kurzer Spaziergang hinüber zum Blumengarten. Caroline Wolf begleitet uns. Der Weg führt über einen schmalen Pfad durch üppige Vegetation, ein Stück über stillgelegte Bahngleise und mündet in einer verstreuten Gartenkolonie. Schon von Weitem winkt Sebastian Conrad, der bereits auf uns wartet. Herzlich begrüßt er jede Teilnehmerin. Mit alkoholfreiem Prickeln aus der Flasche aus der Region wird der Workshop eröffnet. Jede stellt sich vor. Was mit einem Spaß beginnt, zieht sich durch, auch das Sternzeichen wird genannt. Die Teilnehmerinnen haben sehr unterschiedliche Vorkenntnisse und Erwartungen an den Nachmittag und an sich selbst. Alle verbindet aber eins: die Liebe zur Natur. Im Gespräch danach sagt mir Caroline Wolf: „Die Slowflower-Bewegung wird immer noch von vielen aus der grünen Branche belächelt. Gleichzeitig muss ich aber lachen, wenn Floristen sagen, dass sie ihren Beruf gelernt haben, weil sie die Natur lieben, denn die meisten Schnittblumen haben heute nichts mehr mit Natürlichkeit zu tun.“ Diesen Satz muss ich erst einmal sacken lassen.
Anleitung zum selbst Schneiden
Es folgt eine Einführung in die beiden Techniken, die der Referent heute zeigen wird. Danach geht es an die Materialbeschaffung, denn im Gegensatz zu Workshops mit Blumen vom Händler gibt es hier auch noch einen Zwischenschritt – das Schneiden im Blumengarten, Büsche und Bäume drumherum eingeschlossen. Dennoch ist es Sebastian Conrad und Caroline Wolf wichtig zu betonen, dass das Sammeln in freier Natur nur bedingt erfolgen sollte, wegen Giftigkeit und unter Naturschutz stehender Gewächse. Außerdem gibt die Farmerfloristin Tipps zur aktuellen Reife der Schnittblumen in ihrem Blumengarten und dem richtigen Schnittzeitpunkt.

Zwei Quereinsteigerinnen treffe ich beim Streifzug durchs Gestrüpp. Die 55-jährige Simone Steinmetz hat bereits einen dreiwöchigen Quereinsteiger-Kurs besucht. „Da lernt man alles theoretisch. Können tut man’s danach aber natürlich noch nicht und alles geht langsamer“, erzählt sie. Als Nächstes wollte sie an einem Kurs an der Flower Art School teilnehmen. Der kam aber leider nicht zustande. Eine reguläre Ausbildung zur Floristin komme für sie in ihrem Alter nicht infrage, sagt sie. Mit ihrer wenigen Erfahrung sei es aber nicht leicht, in Blumengeschäfte reinzukommen. In einem Betrieb arbeitete sie bereits mit. Wurde aber sogar vor Kunden als „Ungelernte“ herabgesetzt. Aufgeben will sie nicht, ihren Traum zu verwirklichen. Das Umdenken müsse in den Betrieben passieren. Alle würden nach Arbeitskräften suchen, seien aber nicht bereit, Menschen wie sie einzuarbeiten. Als Nächstes hat die gelernte Holztechnikerin ein Bewerbungsgespräch bei Blume 2000. Wenn das nichts wird, kann sie sich auch vorstellen, eine kleine eigene Floristik-Werkstatt zu eröffnen und darin ihre handwerklichen Fähigkeiten auszuleben.
Wildheit und geführte Leichtigkeit
Als alle ihr Material beisammen haben, beginnt der praktische Teil. Grundsätzlich hilft ein Gerüst, die Basis für eine harmonische Gestaltung zu schaffen, weil es den Umriss vorgibt. Bei der Gerüstform sind keine Grenzen gesetzt. Die Länge der Zweige sind der endgültigen Größe des Straußes angepasst zu suchen. Soll der Strauß klein und filigran wirken, sind feine, kurze Äste zu wählen und umgekehrt. Die Struktur und Textur der Zweige tragen zum Charakter des Straußes bei. Die Zweige helfen, Blüten Halt zu geben. Sie können so angelegt werden, dass sie in die gewünschte Richtung abgelenkt werden. Das ermöglicht maximale Luftigkeit. Außerdem kann der Strauß so leichter über die Hand gearbeitet werden.
1. Variante:
1Für die erste Variante binden wir eine Grundform aus Zweigen vor, um Räumlichkeit zu erzeugen. Blüten werden später hinzugefügt. Zur Bewegung des Hauptasts, der immer außerhalb der Mitte verlaufen soll – um Spannung durch Asymmetrie zu erzeugen, – wird eine dem Hauptast zugewandte Gegenbewegung mit einem weiteren Zweig gesetzt. Darum herum lege ich weitere Zweige an, welche ebenfalls miteinander in Beziehung stehen sollten. Die Endform des Gerüsts soll von oben gesehen einem ungleichschenkligen Dreieck ähneln. Sebastian Conrad setzt bewusst nicht alle Zweige so ein, wie sie gewachsen sind. Bewusst zeigt er Blätter auch von der Unterseite, um die verschiedenen Strukturen zu zeigen und damit zu gestalten. Das fertige Zweiggerüst wird abgebunden und bis zur weiteren Verarbeitung ins Wasser gestellt.
2. Variante:
2Hierbei werden knorrige, verzweigte Äste ohne Wasserversorgung waagerecht durch Drähte miteinander verbunden. Im ersten Schritt verbinden wir drei Äste miteinander, sodass sich in der Mitte ein Dreieck bildet. Dafür drei Äste über Kreuz aufeinanderlegen und mit einem 9er-Draht und der Kombizange verzwirbeln – Achtung, Enden der Drähte noch nicht abschneiden! Anschließend drei stärkere Steckdrähte (je nach Gewicht des Gerüsts auswählen), an der Unterseite des Gerüsts an drei etwa gleich weit entfernten Punkten befestigen und zu einem „Stiel“ verbinden, der nachher gut in der Hand und in der Bindestelle liegen soll. Damit das Gerüst nach der Fixierung nicht schief ist oder die Verbindungsstelle der Drähte zu tief liegt, ist es wichtig, das Gerüst auszurichten und es dafür auch von der Seite zu betrachten. Für besseren Halt und mehr Komfort mit Tape abwickeln. Jetzt weitere Zweige in verschiedenen Richtung einfügen, um die Grundform zu vollenden und mit den zuvor lang gelassenen Drahtenden verzwirbeln. Danach die Enden einkürzen und umbiegen, damit keine Verletzungsgefahr besteht. Zu beachten ist, je mehr Gehölz eingearbeitet wird, desto schwerer wird der Strauß am Ende.
Dadurch, dass die Zweige bei einem gedrahteten Gerüst nicht denselben Ursprung haben, wie die später eingebundenen Floralien, entsteht eine sogenannte Wuchspunktverschleierung. Die bewusst gesetzte Gegenbewegung erzeugt Dynamik und Spannung, die den Strauß interessanter machen.
Ein Erlebnis für die Kundenbindung

Mit Katja Zahn und ihrer Kollegin komme ich etwas später ins Gespräch, als bereits das vegane Buffet sehr ausgedünnt ist. Die beiden sind mit Freude und ein wenig Zweifel an den eigenen Fähigkeiten dabei. Zumindest einmal im Jahr wollen die beiden gemeinsam etwas Neues ausprobieren und dem Arbeitsalltag bei „der Wala“ entfliehen. Die Dr. Hauschka Wala Heilmittel GmbH ist hier in der Region ein bekanntes Unternehmen, das Naturheilmittel und Kosmetik herstellt. Laut der Vertriebsmitarbeiterin Katja Zahn ist die gesamte Region empfänglich für die Natur und deren Produkte, viele Firmen mit anthroposophischem Grundgedanken haben hier ihren Sitz. Ergo sitzt das Urwüchsig von Caroline Wolf genau am richtigen Ort und trifft den Nerv der immer sensibler werdenden Konsumenten mit dem Wunsch nach mehr Verbindung zur Natur und deren Schutz. „Durch unsere Arbeit mit Naturheilkräutern haben wir ein besonderes Auge für die Natur bekommen“, sagt Katja Zahn. „Da behält man automatisch die natürlichen Ressourcen mehr im Auge und schaut, dass die Welt auch noch morgen besteht.“ Dass die Region durch diesen achtsamen Umgang mit der Natur geprägt ist, ist natürlich auch Caroline Wolf bewusst: „An der Wala bin ich schon, seit ich mit den Slowflowers vor vier Jahren angefangen habe, dran. Habe sogar extra rote Blumen angepflanzt... Aber es ist ein sehr großes Unternehmen geworden und die Mühlen mahlen sehr langsam und unterschiedlich. Man braucht ein wenig Geduld, aber in vielen Abteilungen bin ich schon fester Bestandteil von Blumenbestellungen und Workshop-Buchungen. Ich gebe nicht auf.“

Mein Resümee
Es war eine spannende Erfahrung, Caroline Wolf und Sebastian Conrad, aber auch die sehr unterschiedlichen Teilnehmerinnen näher kennenlernen zu dürfen. Die Atmosphäre war sofort sehr herzlich. Man spürt, wie glücklich Caroline Wolf ist, ihren Garten mit anderen zu teilen und den Menschen die Natur wieder näherzubringen. Mit Harfe und Slowfood aus der Region schaffen sie und ihr Team gekonnt den passenden Rahmen. Man fühlt sich der Natur nah und erfreut sich ganz entschleunigt an ihrer Schönheit. Dieses positive Erlebnis, weit ab vom hektischen Alltag und die Beschwingtheit danach, hat Suchtpotenzial und trägt damit zur Kundenbindung bei – die hier „auf dem Land“ sehr wichtig ist. Caroline Wolfs Urwüchsig lebt von Menschen, die bewusst zu ihr finden. Und auch ich bin mir sicher, dass ich zurückkehren werde. Um mich auch in Sachen Nachhaltigkeit weiterzubilden – und mich in regelmäßigen Abständen zu erden. Natürlich lieben alle Floristen die Natur und die Arbeit mit den Blumen, das kann man uns auch nicht einfach so absprechen. Dennoch schaffen es Orte wie das Urwüchsig besser – als ein Blumengeschäft in der Stadt –, die nötige Wertschätzung zu vermitteln, für das, was Floristinnen und Floristen täglich in den Händen halten. Und genau die Wertschätzung und neu gewonnene Sinnhaftigkeit ist es, die uns dazu befähigen kann, die höheren Blumen und Pflanzenpreise vor unseren Kund(inn)en selbstbewusst zu vertreten.

Lesen Sie die Porträts zu Sebastian Conrad alias Haute Jardin und Caroline Wolfs Urwüchsig aus vergangenen florieren!-Ausgaben.
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