Logo DEGA GRÜNER MARKT

Geben Sie einen Suchbegriff ein
oder nutzen Sie einen Webcode aus dem Magazin.

Geben Sie einen Begriff oder Webcode ein und klicken Sie auf Suchen.

Trendforscher Professor Peter Wipermann: Die Freude am Dekorieren nutzen

Trends werden nicht gemacht, sie sind die Ergebnisse einer gesellschaftlichen Strategie, mit der sich Menschen an Veränderungen in ihrem Umfeld anpassen. Darauf verwies Professor Peter Wippermann in einem Pressegespräch auf der Frühjahrs-Cadeaux 2010 in Leipzig. Der Handel kann sich diese Verhaltensweisen zunutze machen.
Veröffentlicht am
/ Artikel kommentieren
"Gerade während der Krise
kann man beobachten,
dass
kleine Dekorationen
ein große
Rolle spielen"
"Gerade während der Krise kann man beobachten, dass kleine Dekorationen ein große Rolle spielen" Professor Peter Wippermann
Artikel teilen:
Die Erforschung von Trends erfolgt durch das permanente Abfragen von Konsummärkten, Abverkäufen und Innovationen“, sagte Professor Wippermann, Gründer des Trendbüros in Hamburg und Professor für Kommunikationsdesign an der Folkwang Universität, Essen. Gerade in Krisen sei eine gewohnte Umgebung wichtig, unterstrich der Referent. Nach einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach, waren die 70er-Jahre die Periode, in der sich die meisten Menschen wohlfühlen würden. Niemand wolle hingegen in der Gegenwart leben, geschweige denn in der Zukunft. „Der Umgang der Menschen mit dem Wandel ist sehr unterschiedlich. Zurzeit sind mehrheitlich Retrotrends aktuell“, gab Wippermann zu bedenken. Weil es schon absehbar sei, dass Computer noch stärker in den Alltag integriert werden, würden die Menschen mehr als in der Vergangenheit auf Bilder reagieren. Daher sei denkbar, dass die Retrotrends noch eine ganze Weile andauern werden – wenngleich eine Verschiebung von den Siebzigern in die 80er-Jahre durchaus möglich ist. Menschen möchten in Räumen leben, in denen sie sich wohlfühlen. Dazu trägt häufig eine entsprechende Dekoration bei. So würden etwa in Wohnungen die Jahreszeiten intensiv inszeniert, die Räume immer wieder durch Geschenkartikel und kleine Accessoires verändert. „Gerade während der Krise kann man beobachten, dass kleine Dekorationen eine große Rolle spielen“, unterstrich der Referent. Die Menschen wollten kreativ sein und sich durch Spontankäufe „belohnen“. Zwar würden sie das Geld mehr als sonst zusammenhalten, möchten aber auf das Dekorieren nicht verzichten. Anstatt Kaffee oder Bier trinken zu gehen, würden die Verbraucher ihr Geld heute eher für Decken, Vasen, Kissen und andere Accessoires ausgeben, um durch Ästhetik eine Gefühlswelt zu modellieren. Dies belege, dass die Menschen von heute viel stärker auf optische Reize reagieren als die Verbraucher früherer Generationen. Aus dem alten Begriff des Wohlstands, dem zuweilen ein Vergleich mit den Nachbarn zugrunde lag, habe sich die Sehnsucht nach der gesellschaftlichen Mitte und dem persönlichen Wohlgefühl entwickelt, das sich weniger an materiellen Dingen orientiert, erläuterte der Referent. „Unabhängig von seiner finanziellen Situation entscheidet heute jeder individuell, unter welchen Bedingungen er sich wohlfühlt.“ So könne sich der eine durchaus in einer Umgebung wohlfühlen, d i e sein Nachbar vielleicht als hässlich empfindet. Es sei ein aktueller Trend, dass die Menschen sich in Wohlfühlstimmung versetzen möchten. Die Frage nach den Preisen nehme dabei allerdings eine ganz zentrale Stellung ein. „Ästhetik und Preis müssen nicht unbedingt im Widerspruch zueinander stehen. Die Wertigkeit eines Artikel wird auch nicht mehr langfristig definiert, sondern saisonbezogen“, unterstrich Wippermann. Der Hang zur Individualität zeige aber auch, dass die Menschen anders sein möchten als andere, sagte Wippermann. Trotzdem suchten sie immer die Gesellschaft Gleichgesinnter – allerdings nicht auf der rationalen, sondern auf der intuitiven Ebene. Wippermann stellte klar, dass niemand mehr am virtuellen Markt vorbeikommt. In den USA werde Kindern schon virtuelles Futter für ihre virtuellen Tiere angeboten. In der Realität sind Haustiere oft Kindersatz. Deshalb würden viele Menschen ihre vierbeinigen Hausgenossen ebenso ausstaffieren, wie sie es mit ihrem Nachwuchs täten. Diese Tendenz werde sowohl in der virtuellen als auch in der realen Welt fortschreiten. Folglich müsse der Einzelhandel auf beiden Ebenen aktiv werden oder aber in der Realität so gut sein, dass er auf den virtuellen Verkauf nicht angewiesen ist. „Weil aber mit der virtuellen Welt zusehends haptische Erlebnisse verloren gehen, bekommen ‚profane‘ Aktivitäten, zum Beispiel das Stricken, oberste kulturelle Priorität“, räumte der Referent ein. So gebe es mittlerweile Seniorinnen, die gegen Entgelt Hüllen für iPhones und andere Objekte stricken. Diese Damen haben die Chancen des Nischenmarktes voll erkannt. Für den Handel ergebe sich daraus, dass er auf die zunehmende Freude am Dekorieren reagieren muss. Durch Inszenierungen ist dem Konsumenten visuell zu vermitteln, wie er sein Leben spannender gestalten kann. Dies gelinge aber nicht mit „Leipziger Allerlei“, sondern durch ein gezielt definiertes Ladenkonzept. „Die Basis dafür können entweder themenbezogene Stilwelten oder aber Stilinseln sein“, schlug Wippermann vor. Die Entwicklung von Trends lässt sich kaum beeinflussen. Die Industrie versuchte in der Vergangenheit immer wieder bestimmte Farben hervorzuheben, das funktioniere aber in der Praxis nicht oder zumindest nicht im gewünschten Umfang. „Hersteller und Anbieter können allenfalls versuchen, Trends ‚aufzuschaukeln’ oder zu dämmen“, gab Wippermann zu bedenken. Letztlich sei aber die Interaktion nicht steuerbar. Wohl auch aus diesem Grund beschränkte der Referent seine Prognose auf die nächsten fünf bis sieben Jahre.

Reinhard Wylegalla, Leipzig
0 Kommentare
Was denken Sie? Artikel kommentieren

Zu diesem Artikel liegen noch keine Kommentare vor.
Schreiben Sie den ersten Kommentar.

Artikel kommentieren
Was denken Sie? Artikel kommentieren