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Kommentar Tjards Wendebourg

Die Bürokratie sind wir selbst

Bürokratieabbau ist ein Wort, das beliebter kaum sein könnte. Jeder will weniger Bürokratie: Die Bürgerinnen und Bürger, die Politik, die Unternehmen. Der Begriff eignet sich deshalb perfekt als Projektionsfläche: Da alle ihm zustimmen, die Definition ausreichend abstrakt ist und man immer jemanden findet, dem man ihn zuwerfen kann, tut er nicht weh. Nur, wenn man ins Detail schaut, wird’s kompliziert.

von Tjards Wendebourg, Redaktion DEGA erschienen am 05.03.2024
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© Tjards Wendebourg

Bürokratie ist nämlich ein sich selbst fütterndes System, das aus Millionen von Rädchen besteht. Weil es in einer komplexen Volkswirtschaft und in einem immer dichter besiedelten Land immer mehr zu regeln gibt und gleichzeitig niemand mehr Risiken eingehen oder ungerecht behandelt werden möchte, wird es immer schwieriger, Regeln aufzustellen, die nicht gleichzeitig den Prozess drangsalieren. In zahlreichen Gremien tüfteln spezialisierte Menschen Regelungen aus, die den betreffenden Bereich besser machen sollen. Das reicht vom Regelwerks-Ausschuss bis zur Ethik-Kommission. Jeder will für seinen Bereich nur das Beste.

Gleichzeitig mischen zahllose Interessenvertretungen bei jeder Regelung mit und versuchen, für ihr Klientel das Beste herauszuholen. Was in Summe dabei herauskommt, ist ein Netzwerk aus Begrenzungsfaktoren, die sich – ob der vielen beteiligten Köche – zum Teil munter widersprechen und zum Teil absurden Charakter haben. Je länger sich Menschen mit einem Prozess beschäftigen, desto mehr bemühen sie sich, zu optimieren und, desto eher entfernen sie sich auch von der Frage, wieviel Regelungsqualität eigentlich notwendig und zuträglich ist.

Gleichzeitig müssen alle Regelungen justiziabel sein – und zwar nicht nur vor dem Verfassungsgericht. Sie müssen so beschaffen sein, dass sie niemanden benachteiligen. Dass „die Politik“ daran regelmäßig scheitert, zeigt die Tatsache, wie oft Gesetze durch Gerichte kassiert und neu gestaltet werden müssen. Angesichts der wachsendden Komplexität, die nicht nur Spezialisten zunehmend überfordert, ist das kein Wunder. Regierungen machen dabei Ordnungspolitik. Sie schaffen einen Rahmen, der grob alle vorstellbaren Fälle umfassen soll.

Je weiter man im föderalen System herabsteigt, desto konkreter sollte es werden. Und desto eher sollten die örtlichen Verwaltungen auch den Gestaltungsspielraum nutzen, den ihnen die Gesetzgeber zubilligen; inklusive des Rückgriffs auf eigenverantwortliche Entscheidungen, die dafür sorgen, Rahmenvereinbarungen der örtlichen Situation anzupassen. Machen wir es an einem einfachen Beispiel fest: Die Politik hat recht damit, das Überqueren der Straße bei Rot zu verbieten. Aber, wenn ich um zwei Uhr nachts auf einer leeren Straße an einer roten Ampel stehe, muss ich die Gesetzgebung situationsbedingt interpretieren.

Eines ist Fakt: Wenn wir so weitermachen, verstricken wir uns in einem System, das jegliche Eigendynamik unterdrückt. Denn wenn diese riskant wird und einen großen Teil der Zeit frisst, wird keiner mehr Lust haben eigendynamisch zu handeln. Das wiederrum ist kein Slogan, dem man im Bierzelt jemanden an den Kopf wirft – auch wenn es so schön einfach ist. Das ist ein Fakt, der uns alle angeht; als Teil einer Gesellschaft, die jedes Lebensrisiko an den Staat abtreten möchte.

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